Mutierte Erreger machen Grippe und Tuberkulose zur tödlichen Gefahr
„Wissenschaftler warnen vor Millionen Grippetoten“. Mit solchen Schlagzeilen haben in den vergangenen Monaten viele Medien ihre Leser und Zuschauer auf ein Problem aufmerksam gemacht, das Experten schon lange beschäftigt - die Grippepandemie!
Die Jahr für Jahr im Winter wiederkehrenden Grippewellen werden durch Grippeviren verursacht, die sich von denen des Vorjahrs nur in molekularen Details unterscheiden. Alle paar Jahrzehnte kommt es aber zu größeren Veränderungen im „Virusdesign“. Weil sich Grippeviren von Menschen und Tieren vermischen, entsteht dabei ein neuer Virustyp. Der kann sich von den Vorgängern so stark unterscheiden, dass das menschliche Abwehrsystem den Erreger nicht mehr erkennt und Menschen dem Virus schutzlos ausgeliefert sind.
In Südostasien grassieren bei Vögeln seit einiger Zeit Vogelgrippeviren, die als Kandidaten für eine schwere Grippepandemie gelten, falls es ihnen gelingt, mit menschlichen Grippeviren zu verschmelzen. Ob daraus eine Katastrophe mit 20 bis 50 Millionen Toten wird, wie es bei der Spanischen Grippe Anfang des 20. Jahrhunderts der Fall war, kann jedoch niemand vorhersagen.
„Alle Virologen sind sich aber darin einig, dass ein neues, pandemisches und für Menschen gefährliches Grippevirus in absehbarer Zeit auftauchen wird“, sagt Professor Hartmut Hengel. „Welche Eigenschaften diese neuen Tochterviren haben werden, kann man nicht in allen Einzelheiten vorhersagen“, bedauert der Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Düsseldorf.
Grund zur Vorsicht ist jedenfalls geboten. Aus den USA wurde kürzlich die erfolgreiche Entwicklung eines Grippeimpfstoffs gemeldet, der Menschen vor Viren schützen könnte, die denen ähneln, die in Südostasien unter Vögeln grassieren. Dass dieser auf Verdacht entwickelte Impfstoff aber tatsächlich vor dem nächsten pandemischen Grippevirus schützt, kann niemand vorhersagen. Für Hengel ist deshalb jetzt eine der entscheidenden Maßnahmen, Neuraminidasehemmstoffe zu beschaffen und einzulagern. Mit diesen Medikamenten kann eine Grippeerkrankung abgeschwächt oder sogar verhindert werden. Gemäß des kürzlich vom Robert-Koch-Institut vorgestellten Pandemieplans ist diese Vorsorge Aufgabe der Bundesländer. Denn: „Wenn der Tag X kommen sollte, werden die Apotheken nicht mehr liefern können“, so Hengel weiter.
Multiresistente Keime erschweren die Heilung
Die Grippe aber ist nicht die einzige altbekannte Infektionserkrankung, die zurzeit Schlagzeilen macht. Ein bereits heute ganz reales Problem ist die Tuberkulose, die lange als nahezu besiegt gegolten hatte. „Das Problem sind hier vor allem die multiresistenten Keime“, betont Professor Klaus Pfeffer aus Düsseldorf. „Multiresistent“ heißt ein Erreger, wenn er gegen mehr als eines der klassischen Tuberkulose-Medikamente unempfindlich ist. Im dramatischsten Fall wirken alle sechs Standardpräparate nicht mehr. Die eigentlich hervorragenden Heilungschancen bei Tuberkulose sinken dann auf ein Viertel und weniger. Etwa fünf Prozent der pro Jahr etwa 7.000 Tuberkulose-Patienten in Deutschland sind im Moment mit multiresistenten Keimen infiziert. „Die Tendenz ist aber klar steigend“, so Pfeffer. Anders als bei den meisten anderen Keimen ist Deutschland stärker von resistenten Tuberkulose-Erregern betroffen als andere westliche Staaten.
Der Grund ist die Nähe zu den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Dort werden Tuberkulose-Patienten, die eine strenge, monatelange Kombinationstherapie benötigen, oft nicht konsequent genug behandelt. „Vor allem in Gefängnissen gibt es dieses Problem“, weiß Pfeffer. Von dort breiten sich resistente Keime dann in der Bevölkerung aus und gelangen mit den Auswanderer- und Aussiedlerströmen nach Zentraleuropa.
Vor einer pauschalen Stigmatisierung einzelner Regionen oder Länder sollte man sich allerdings hüten. Zwar kamen in den Jahren viele Probleme mit Infektionskrankheiten aus Zentral- und Südostasien. „Unbekannte, tödliche Infektionen traten in der Vergangenheit aber auch schon in ganz anderen Regionen der Erde auf“, wie Hengel betont, „zum Beispiel die 1993 im Südwesten der USA erstmals aufgetretene Hantavirus-Lungenerkrankung“. Die konnte glücklicherweise unter Kontrolle gebracht werden. Auch eine andere Infektionskrankheit macht derzeit vor allem in den USA Probleme, die West-Nil-Virusinfektion. |